Kriegsweihe
2023
Aus verschiedenen Blickwinkel beschäftigen sich diese Rituale mit einem der ältesten Themen der Menschheit, dem Krieg. Künstler:innen, Laien und Profis setzten sich während der Erarbeitungsphase diesem europa- und weltweiten Thema aus und entwickelten außergewöhnliche Begegnungen von zeitgenössischer Musik und poetischen Reflexionen, von „Duellen“ zwischen Text und Musik, die einen intensiven emotionalen Zugang zu schaffen versuchen, was die Realitäten von Krieg und Kriegen für Menschen und die Menschheit bedeuten.
KRIEGSWEIHE erinnert eine Warnung, die stets notwendige Warnung vor der Vernichtung des Menschen durch den Menschen. Hundert Jahre nach der Großen Bauhausaustellung in Weimar, lässt KRIEGSWEIHE sich vom Prinzipien der thematischen „Bespielung“ einer Stadt, mit und durch die Kombination verschiedener Künste inspirieren.
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Zu den einzelnen Installationen und Performances :
1. Verantwortung
Todesfuge
Alma Baute ist 18 Jahre und eröffnet die Gesamtperformance KRIEGSWEIHE als Sängerin einer Vertonung von Texten aus Paul Celans Todesfuge. Umgeben von drei riesigen Druckkammerlautsprechern, die mit je über 140 Dezibel, E-Gitarren Sirenensounds mit sich steigernden Lautstärken „feuern“, steht die junge Sängerin inmitten eines hörbaren Kriegsbildes.
Ihre einzige Gegenwehr ist ihre Stimme und die Klage eines Textes, der als Antwort auf die Greuel des Zweiten Weltkriegs, die unauslöschliche Schuld der Täter und die Notwendigkeit des „Sich-den-Realitäten-stellens“ und des „Sich-füreinander-einsetzens“ beschwört. Ein musikalisches Duell und schmerzvolles Ausharren gegen jede Behauptung der Notwendigkeiten von Krieg und eine Antwort auf die Sinnlosigkeit von Kriegen gegen Menschen, welcher Herkunft und Zugehörigkeit auch immer.
2. Verachtung
Blutsee
Im Zentrum ein „See aus Blut“, umgeben von vier Lautsprechern aus denen ein Streichquartett ertönt, Beethovens Große Fuge op. 132. Aus jedem einzelnen der vier Lautsprecher erklingt jedoch nur eine der Stimmen dieses Werkes. Der „Sweetspot“, jener ideale Platz, an dem das Publikum das gesamte Streichquartett ideal und rein hören kann, liegt im Zentrum zwischen den Lautsprechern. Außerhalb dieser „Sphäre“ führen Pegelunterschiede und Laufzeiten zu Verwerfungen. Das Zentrum zwischen den Lautsprechern muss von den Zuhörer*innen betreten werden, durch einen „See aus Blut“. Erst wenn eine Hörer*in das Zentrum betritt, stellt sich eine temperierte Stimmung her. Doch bleibt das „Blut“ symbolisch an allen haften, die die Schönheit der Beethoven Fuge suchen und finden. Welchen Preis sind wir zu zahlen bereit für das Glück des Perfekten, für einen perfekten Genuss? Eine immersive, interaktive Klanginstallation befragt die Unmöglichkeit der Unschuld in einer schuldigen Welt.
3. Hoffnung
Im Tod umschlungen
Hörst du die Trommeln // Wieder // Krieg // Des Menschen Brandmal // Der Hölle lautestes // Schrecklichstes // Freiheit nicht…
An den Ufern eines Sees stehen sich zwei Sänger*innen gegenüber. Schweigend, zwei Positionen, unvereinbar. Kein Wort, Stille, bis ein gesangliches Duett beginnt. Es geht argumentativ um das Für und das Wider der Notwendigkeit von Kriegen des Menschen gegen den Menschen. Langsam steigert sich was als Duett begann zu einem verzweifelt sich ins Chaos steigernden Dialog. Zwei antagonistische Positionen kämpfen in einer Vokalschlacht mit archaischen Lauten und Himmelsgesang. Was sich zwischen den Sänger:innen bewegt ist ein in Musik und Worten aufgelöster Krieg. Begleitet und bestimmt von Snaredrums, die wie von Geisterhand selbst spielen, nähern sich jedoch diese zwei „Kämpfenden“ mehr und mehr an. Alles endet in einem Bild der Vereinigung, einer Pietà, in der der Tod alles verstummen lässt.
4. Hybris
Seven Spirits
Der Wunsch nach Vergessen ist das Thema in Lord Byrons dramatischem Gedicht „Manfred“. An Goethes „Faust“ erinnernd, leidet Byrons Titelheld an seiner Unfähigkeit die Welt ganz und gar zu durchdringen. In seiner Verzweiflung ruft er sieben Geister, ihn von der Last des
Wissens und der Erinnerung zu befreien. Im Stadtraum von Weimar sind diese Sieben Geister existent, als eine Klanginstallation sicht- und hörbar. Sieben kreisförmig angeordnete Lautsprecherskulpturen erinnern in Wort und Musik das Vergessen. Inspiriert von Byrons
„Manfred“ erzählen Seven Spirits aus dem Leben einer Nationalsozialistin, die einen Krieg erlebte und lebte. Noch im hohen Alter glaubt sie das Recht zu haben, vergessen zu dürfen, ihre Taten, all die Verfehlungen ihres Lebens. Sie will vergessen um jeden Preis und muss dennoch leben, uns zu erinnern.
5. Rausch
Zwei Spielmannszüge, Profis und Laienmusiker:innen marschieren in zwei musizierende Schlachtreihen mitten in Weimar aufeinander zu. Eine kriegsähnliche Konstellation. Je weiter die Züge voneinander entfernt sind, so eindringlicher hört man das musikalische Gegeneinander von Marschtrommeln, klappenlosen Querflöten, Lyren, Großer Trommel und Becken. Doch je näher sich die marschierenden Schlachtenreihen kommen, potenziert sich ihre Musik und ein gemeinsamer Klang wird ahnbar. Kriegerische Distanz findet auf dem Weg zueinander zu ungeahnten Harmonien, zum Verständnis des jeweils Anderen, sogar ein echtes Miteinander könnte möglich werden. RAUSCH ist das quantitave Zentrum des performativen Rituals KRIEGSWEIHE. Zuschauer:innen erleben einen RAUSCH als zentrale Performance, weithin hör- und sichtbar im Herzen der Stadt.
6. Ordnung
In der Geschichte der Kriege überbrachten reitende Boten auf den Rücken von Pferden
entscheidende Nachrichten von Sieg oder Niederlage. Pferde trugen Warnungen vor
heranziehenden Apokalypsen auf ihren Rücken oder selbst Tod und Verderben in die Städte, wie im Trojanischen Krieg. In der Gegenwart der Performance KRIEGSWEIHE bewegt sich abermals ein Pferd durch eine Stadt. Doch längst hat es seinen Boten, schicksalsbestimmende Botschaften und die eigene Gefährlichkeit verloren. Übrig geblieben ist ein konstruktivistisch anmutender Pferdetorso, ein Ross ohne Reiter, doch mit einer Stimme, die wild zusammengewürfelte Textfragmente skandiert. In bester dadaistischer Manier spricht und singt es von Krieg, Tod und Verderben, von der Lust des Schlachtens, von einer Doppelschlacht in fernen Zeiten, Goethes Eiche in Buchenwald, dem Förster vom Ettersberg. Das Pferd sucht eine neue, vielleicht gegenwärtige Botschaft, eine neue Ordnung und findet doch nur die ewigen Abgründen des Krieges. Begleitet und bewegt wird dieses neuapokalyptische Wesen von einem skurrilen Clownspaar, seinen Führern, die selbst nicht wissen wohin. Ihre gemeinsame Reise führt sie vorbei an den einzelnen Ritualen der KRIEGSWEIHE und endet am steinernen Standbild zweier großer Dichter und Humanisten, Goethe und Schiller, direkt vor dem Nationaltheater.
7. Kill Krieg – Eine Gala
Alles endet auf der Bühne eines Theaters. Ein Pferd, Texte, Musiker*innen, Performer*innen, ein Libretto, kluge Gedanken, der Krieg. Am Ende der KRIEGSWEIHE steht auf der Bühne des
traditionsreichen Nationaltheaters der Krieg selbst vor einem Tribunal. In 8 Walzervariationen, mit betörend schönem Gesang, einem Flügel, einem Playerpiano, einem Streichorchester und einem vergiftet poetischen Libretto, unternimmt eine operntheatrale Performance das in unseren Realitäten Unmögliche: Den Krieg zu „killen“. Alles beginnt in Schönheit und eskaliert Stück um Stück zu einem letzten Duell zwischen einer Anklägerin und dem Angeklagten. Notwendig überzeichnet, doch realitätsnah, werden unsere gesellschaftlich hilflosen Verhältnisse zum Krieg verhandelt. Denn nur ein Atemzug liegt zwischen dem Bekenntnis zum Leben oder zum Tod. Es geht um vergessene Verantwortung, um Verachtung die uns in Kriege treibt, das Blut das wir für und gegen den Krieg vergiessen, die menschliche Hybris, den ungezügelten Rausch und die Ordnung, die den Menschen vor sich selber schützt. Die Sängerin Jelena Kuljić als Anklägerin und Julian Mehne als Krieg treiben sich gegenseitig an, mit und gegen das Libretto der österreichischen Autorin Lydia Haider. An diesem Abend rechnen Menschen mit sich, ihrem ärgsten Feind ab, so unaufhaltsam, wie gnadenlos. Schönheit trifft auf Grauen, Fiktion auf Realität und der Krieg, wer er auch sei, lebt, tot oder lebendig.
31. August bis 3. September 2023
Kunstfest Weimar
Allianz Foundation
Thüringer Staatskanzlei
Kunstfest Weimar
Volkstheater Wien
Orchestre della Svizzeria Italiana
Marc Sinan
Komposition, Künstlerische Leitung
Lydia Haider
Libretto
Holger Kuhla
Bühnenbearbeitung und Dramaturgie
Isabel Vollrath
Kostüme
Miriam Baute
Gestaltung
Volker Greve
Sound Design
Ilija Dordevič, Anthony Dunphy
Sensorik
Felix Seidel
Light Design
Marc David Ferrum, Wiebke Wesselmann
Projektleitung Berlin
Marcus Max Schreiner
Projektleitung Weimar
Alma Baute
Gesang
Johanna Vargas
Gesang
Andreas Fischer
Gesang
Jelena Kuljić
Gesang
Julian Mehne
Gesang
Magdalena Cerezo
Klavier
Zora Slokar
Gesang, Horn
Uli Langenbein
Performance
Rieke Schuberty
Performance
Lukas Miko
Stimme
Kyiv Symphony Orchestra
Ensemble Metamorphosis
Spielmannszug Bad Langensalza
Spielmannszug Mellingen
Thomas Müller
Fotos
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