Trost
2026
Der Komponist Marc Sinan und der Autor Imran Ayata unternehmen eine faszinierende Erkundung Berlins. In der Hauptstadt spüren sie den vielfältigen Wegen nach, auf denen Menschen unterschiedlichster Herkunft und Lebenswelten Trost finden: Sie entdecken ihn in den Klängen der Musik, in zeitlosen Ritualen, im Rhythmus des Tanzes, in der Solidarität der Gemeinschaft, im Teilen des Essens – und in den facettenreichen Perspektiven auf die Welt. Inmitten einer von Unsicherheiten geprägten Zeit suchen wir alle nach jenem Trost, der uns wie eine sanfte Umarmung in Momenten der Verzweiflung und Trauer Halt gibt.
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Im Zentrum der Momentaufnahme Berlins 2025, stehen persönliche Strategien von Berliner:innen unterschiedlichster Herkunft und Orientierung und ihrer Verarbeitung von Schicksalen und Traumata mit Hilfe von Musik. Ihre Geschichten werden in Interviews und mit Video field recordings in ihrem alltäglichen Lebensumfeld dokumentiert, um dann künstlerisch verarbeitet zu werden. Im Mittelpunkt steht die Idee, individuelle Ansätze in kollektive, gesamtgesellschaftliche bzw. für das Publikum partizipative transkulturelle Dokumentaroper zu übertragen.
Der afghanische Rapper, der auf seine Abschiebung wartet, steht neben der singenden Malierin, die gerade ihren ersten Vertrag bei einem Berliner Label gesigned hat, der alleinerziehenden evangelischen Pastorin, der kanadischen Cellistin, die zum Geldverdienen für Amazon Pakete ausfährt, der britischen Professorin für zeitgenössische Musik, dem israelischen Producer, der eine elektrische Oud spielt, und dem Koransänger, der als Sozialarbeiter mit Jugendlichen arbeitet. Sie alle haben drei Dinge gemeinsam: sie leben 2025 in Neukölln, spielen eine persönliche, irrsinnig raffinierte, bewegende Musik und finden in ihr Trost.
Der Komponist Marc Sinan entwickelt eine transmediale Dokumentaroper, wie schon in vergangenen Projekten, die sich mit Musik aus der Türkei, Westafrika, Indien und Zentralasien beschäftigten, gemeinsam mit Imran Ayata, dem Erfinder des legendären Projekts Songs of Gastarbeiter, für und mit den Protagonist:innen aus Neukölln, Performer:innen des Maxim Gorki Theaters, den Musiker:innen des Pantopiana Ensembles, dem Orchester der Komischen Oper, sowie 200 jugendlichen Tänzer- und Sänger:innen aus Berlin.
HINTERGRUND
„Die Aufgabe besteht darin, sich entlang erfinderischer Verbindungslinien verwandt zu machen und eine Praxis des Lernens zu entwickeln, die es uns ermöglicht, in einer dichten Gegenwart und miteinander gut zu leben und zu sterben.“
Donna J. Haraway
Ausgehend von diesem Gedanken, den die Wissenschaftstheoretikerin und utopische Feministin Donna J. Haraway bereits 2016 in „Staying with the Trouble“ formuliert hat, soll in wissenschaftlich-künstlerischen Prozessen untersucht werden, was unterschiedliche Kontexte und Kulturtechniken, Trost über Musik zu spenden und zu empfangen, ausmacht, um daraus gemeinsam mit dem interdisziplinären Künstler:innen-Team ein gemeinschaftsstiftendes Ritual abzuleiten, zwischen Konzert, Essen und schließlich getanzter Ekstase.
In unserer weitgehend postideologischen, postreligiösen, hochdiversifizierten Gesellschaft fehlen Rituale, die gemeinschaftsstiftend wirken. Sämtliche Strategien zu feiern, zu erinnern, zu trauern, sich zu begegnen oder zu verabschieden oder eben Trost zu finden sind hochgradig exklusiv und kulturell und sozial wenig durchlässig. Der Reichtum des Rituals ist uns als Stadtgesellschaft abhandengekommen, gilt als esoterisch verschrien, wird von Ideologen besetzt, wirkt peinlich, oder toxisch. Ohne jeden Zweifel aber sind Musik, Essen und Tanzen Vorgänge, die uns Menschen über alle Grenzen hinweg verbinden können. Wir alle dürsten nach Trost. Einem Ausweg aus der Überforderung angesichts der Welt, in der wir leben.
Die beteiligten Künstler:innen suchen gemeinsam mit ihren Berliner Protagonist:innen nach Verfeinerung; Begegnung und Gemeinschaft, Tiefe und Wärme. Sie suchen und finden, so hoffen sie: Trost! Jenseits des kleinsten gemeinsamen Vielfachen von Appropriation und Tokenism suchen also die Künstler- und Forscher:innen des Projekts nach Strategien, besondere persönliche Musiken des Trostes im Berlin 2025 in allen erdenklichen kulturellen und gesellschaftlichen Gruppen zu identifizieren, zu dokumentieren und in künstlerischen Vorgängen mit dem Publikum teilbar zu machen. Ein Sound, ein Ritual für eine bessere Gesellschaft der Zukunft.
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